Abschied vom Vater An Ostern ist meinem Bruder, meiner Lebensgeführtin und mir klargeworden, dass unser Vater nicht mehr lange allein Zuhause leben kann. Er war immer sehr eigenständig und selbstbestimmt. Seit dem plötzlichen Tod seiner Frau vor zehn Jahren lebte er allein in seinem Haus. Lange hat er um sie getrauert und war oft depressiv. Er wollte immer Zuhause sterben und wir Söhne wollten ihn in seinem Wunsch unterstützen. Unserer ersten Idee, eine Pflegerin ins Haus zu holen, hat unser Vater nicht zugestimmt. Es gab viel Streit zwischen ihm und uns Söhnen und immer wieder Vorwürfe. Mittlerweile konnte er sich eher vorstellen, an einen anderen Ort zu gehen. Damit begann unsere Suche. Meine Lebensgefährtin hatte vor Jahren über eine Bekannte Kontakt zum KinderHeilhaus in Kassel. Sie hatte gute Erinnerungen an diesen Ort und schlug vor, mit dem Heilhaus Kontakt aufzunehmen. Von Anfang an gefiel uns das Hospiz mit seiner ruhigen, positiven Ausstrahlung. Wir ließen unseren Vater auf die Warteliste setzen. Danach führ ich mit dem Fahrrad Richtung Frankreich. Es tat weh mir vorzustellen, dass unser Vater das von ihm gebaute Haus verlassen sollte. Ich musste erst einmal weg. Am vierten Tag meiner Radtour kam schon der Anruf, dass unser Vater im Hospiz aufgenommen werden kann. Wir hatten mit einer längeren Wartezeit gerechnet. Ich war völlig überrascht, emotional aufgewühlt und fuhr sofort zurück. Viele Gedanken beschäftigten mich, Fragen und Zweifel kamen mir. Wird das Hospiz ein guter letzter Ort für unseren Vater sein? Wie wird unsere Beziehung sich entwickeln, die von viel Streit und Vorwürfen uns Söhnen gegenüber geprägt war? Ich fühlte Zweifel und Ängste in mir, aber auch die Hoffnung auf Änderung unserer Beziehung. Auch hoffte ich auf Entlastung von meiner ständigen Sorge um meinen Vater, der sich immer mehr selbst überschätzte und sehr sturzgefährdet war. Mein Bruder Andreas und ich brachten unseren Vater gemeinsam ins Hospiz. Wir wurden sehr freundlich begrüßt und in das Zimmer "Kornblume" geführt, das sein letztes Zuhause werden sollte. Uns wurde Kaffee und Kuchen angeboten und einige Mitarbeiterinnen setzten sich zu uns. Wir fühlten uns sehr willkommen und spürten die freundliche und zugewandte Stimmung. Mein Vater war zuerst recht still, abwartend und höflich, wenn ihn jemand ansprach. Von Anfang an nahm er die Angebote an, sei es die Pflege, die Mahlzeiten oder Gespräche. Meinem Bruder und mir machte er keine Vorwürfe mehr - Andreas und ich waren sehr erleichtert. Die liebevolle Zugewandtheit aller Mitarbeiter im Hospiz hat uns sehr gut getan, und wir hatten von Beginn an Vertrauen zu diesem besonderen Ort und seinen Menschen. Unser Vater war seit Jahren nicht mehr glücklich, er hat nicht mehr gelacht. Hier im Hospiz hat er wieder lachen gelernt. Er hat sich von den kleinen Gästen berühren lassen und sie liebevoll angelächelt. Es gab für unseren Vater nichts mehr zu erledigen - hier konnte er einfach sein. Und wir mit ihm. Und ich habe es genossen hier zu sein. Auch ich habe mich aufgehoben und unterstützt gefühlt. Die Nähe der Menschen zueinander, der Gäste und der Mitarbeiter untereinander haben mich sehr beeindruckt und mir gutgetan. Mein Bruder und ich haben beide einen strukturierten und eng getakteten Alltag und haben hier große Ruhe, Entspannung, liebevollen Umgang mit den Gästen, großes Interesse, Empathie, Vertrauen ... erlebt. Dafür bin ich sehr dankbar. Ich konnte den Zeitdruck, unter dem ich oft stehe, loslassen, konnte mich einlassen und öffnen für das, was gerade geschieht. Die schrittweise und behutsame Annäherung an den Tod war mir wichtig. Die brennende Kerze vor der Tür, wenn ein Gast verstorben war, hat mich sehr berührt. Ich habe mehrere Aussegnungen zusammen mit meinem Vater erlebt. Sie haben uns tief bewegt und uns innerlich bereitgemacht anzunehmen, dass der Tod unseres Vaters immer näher kommt. Alle Erlebnisse wurden durch das Team sehr verständnisvoll und kompetent begleitet. Auch als Familie haben wir liebevolles Umsorgt-sein erfahren. Alle Schritte und zum Schluss die Kleidung für den letzten Weg auszusuchen, haben uns vorbereitet. Mein Bruder und ich waren beim letzten Atemzug unseres Vaters dabei und sind dafür sehr dankbar. Die Aussegung war für uns ganz besonders. Wir alle waren sehr bewegt und auch getröstet in diesem traurigen Augenblick. Es war ein würdevoller Abschied von unserem Vater. Ich möchte gerne etwas weitergeben von dem, was ich hier erfahren und gespürt habe und was mir bedeutsam und wertvoll geworden ist. So möchte ich mich hier im Hospiz einbringen und ehrenamtlich einmal in der Woch beim Abendessen helfen.
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